
Eine besondere Flasche Wein zu einem besonderen Fest (Fotos: weshootbottles, Bernd Kreutz)
„1712 IST DIS CREUTZ ZU EHR GOTES AUFGERICHT WORDEN DURCH ANDREAS SCHUMANN UND SEINE HAUSFRAX SUSANNA.″
Das Wegkreuz mit dieser in roten Sandstein gemeißelten Inschrift steht seit nunmehr 300 Jahren in einem Weinberg an der Mosel.
In dem Schauspiel „Des Teufels General″ ist von diesem Weinberg und der besonderen Qualität eines Weines seiner Lage die Rede.
Der Protagonist des Stücks, der General der Flieger und Lebemann Harras, wird im ersten Akt des Dramas vom Kellner eines Restaurants in der Hauptstadt des Deutschen Reichs gefragt: „Herr General haben die Weinkarte befohlen?″ Der von Ritterkreuzträgern umgebene Harras antwortet: „Ja. Ich möchte jetzt – was Besonderes. Nicht zum Saufen, sondern zum Trinken. Zum Genießen. Zum Zelebrieren, was Nobles. Was Festliches. Eine Steigerung unseres Daseins.″ Er blättert derweil in der Weinkarte herum. „Da war so eine Himmelsglocke in eurem Gebetbuch – die hab ich viele Jahre nicht mehr läuten hören – aber ich erinnere mich genau – das sind Ewigkeitswerte hier. Da steht er ja. Ich glaube, es ist euer bester. Grade recht für heute. Wer weiß, wie lange noch. Quatsch.″ Er liest:„1920er Lieserer Niederberg Helden, letzte Trockenbeerenauslese, Edelfäule. Naturgewächs aus dem Weingut Graf Schorlemer-Lieser. Wie das klingt. Wie ein Oktobertag.″
Nachdem der Kellner die Gläser gefüllt und verteilt hat, fordert Harras, für die Umstehenden gut hörbar, einen abstinenten jungen Fliegeroffizier zum Verkosten auf: „Nehmen Sie auch ein Glas, Hartmännchen, das ist kein Alkohol. Das ist flüssige Sonne. Riecht mal erst.″ Als alle geschnuppert haben, wird Harras fast feierlich: „Noch besser geworden. Da gibt’s keine Zeit und keine Zeiten. Wißt ihr denn überhaupt, was ihr da trinkt?″ Zu Oberst Eilers gewandt gerät er ins Schwärmen: „Bist Du mal durchs Moseltal gefahren und hast an den Hängen hinaufgeschaut – wo sich das alte Rebholz im nackten Schiefer hält? Tausend Jahre, mein Lieber. Tausend Jahre Leben, und Arbeit, und Volk. Ganz ohne Propaganda.″
Eilers nuschelt ein leises „Auf Deutschland″, worauf Hitlers General schließlich sein Glas erhebt und der Abendgesellschaft zuprostet: „Auf das Deutschland, in dem er gewachsen ist. Das echte. Das unvergängliche.″
Das Kreuz am Weg auf dem Lieserer Niederberg wird in dem Text zwar nicht erwähnt, dennoch spielt es eine Rolle. Eine symbolische. An ihm kreuzen sich nämlich tatsächlich etliche Wege. Und zwar Lebenswege.
Als ich am 16. Juni 2010, einem sonnigen Donnerstag, um 17 Uhr 37 erstmals vor diesem Wegkreuz stand und auf den Auslöser meiner Digitalkamera drückte, ahnte ich davon so gut wie nichts. Sybille Kuntz und ihr Mann Markus hatten mich dort hin geführt. Das Wegkreuz steht auf einer Parzelle, die dem Weingut Sybille Kuntz gehört. Die Ortsbesichtigung war Teil einer Vereinbarung, wonach ich sie und ihren Mann in die mir bekannten Geheimnisse des Marketings einweihe und sie mich in die ihnen bekannten des Weinbaus. Ein klassisches Tauschgeschäft. Per Handschlag vereinbart.
Sybille Kuntz hatte sich drei Monate zuvor auf Empfehlung einer gemeinsamen Bekannten an mich gewandt. Offenbar in der Hoffnung, dass ich ihr möglicherweise bei der Gestaltung von Flaschenetiketten für ihre Weine helfen könnte. Aus mehreren Gründen habe ich spontan meine Mitarbeit zugesagt.
Erstens war ich amüsiert, jemanden vor mir zu haben, der offensichtlich keinerlei Vorstellung davon hatte, was ich genau mache, wie ich arbeite und wie gewöhnlich Rechnungen meiner Firma aussehen.
Zweitens gefiel mir, dass Sybille Kuntz eine unabhängige Frau war, nur getrieben vom Ehrgeiz eines eigenen Qualitätsanspruchs. Frei von Herkunfts-, Status- oder Berufsstandesdünkel.
Drittens war ich gerade sechzig Jahre alt geworden und hatte mir vorgenommen, nur noch für Auftraggeber zu arbeiten, von denen ich mir eine Bereicherung jenseits der Einkommenssteigerung versprach. Von Wein verstand ich nichts, Grund genug also, mich damit zu beschäftigen. Vielleicht sogar unter fachkundiger Anleitung mit dem Weintrinken zu beginnen.
Viertens fiel mir ein, dass auch Otl Aicher gerade sechzig Jahre alt geworden war, als er erstmals gebeten wurde, Weinetiketten zu entwerfen. Ebenfalls von einer ambitionierten Winzerin, Elke Maria Gross vom Gut Rheinburg am Bodensee. Zwei Flaschen des Jahrgangs 1984 mit Aichers Etiketten hatte ich im Keller. Sie lagerten direkt neben zwei dutzend Flaschen Chateâu Mouton-Rothschild, die ich wegen ihrer Künstleretiketten gesammelt hatte - für Aicher das Grauen schlechthin.
Otl Aicher war damals längst eine Gestalterlegende. Mit seiner Frau hatte er Mitte der 1950er-Jahre die zu weltweitem Ansehen gelangte Ulmer Hochschule für Gestaltung gegründet und als Gestaltungsbeauftragter des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele in München 1972 Zeichen gesetzt. Seine Frau Inge hatte mit Aufbau und Leitung der Ulmer Volkshochschule eine bedeutende kulturelle Institution im Nachkriegs-Deutschland geschaffen. Mit dem Buch „Die Weiße Rose″ setzte sie ihren von den Nazis umgebrachten Geschwistern Hans und Sophie Scholl ein Denkmal.
Als einundzwanzigjähriger ging ich ein Jahr lang bei Aichers am Ulmer Hochsträß ein und aus. Aicher hatte mich, den gelernten Schriftsetzer und frisch gekürten Preisträger des Deutschen Jugend-Photopreises zum Assistenten in seinem Privatbüro gemacht. Daher wusste ich auch, dass Aichers mit Carl Zuckmayer befreundet waren, dem Autor von „Des Teufels General″. Dessen erstes Stück hatte übrigens - wie merkwürdig - den Titel „Kreuzwege″. Zuckmayer, der 1933 emigrieren musste und erst 1946 als amerikanischer Staatsbürger und Kulturbeauftragter des US-Kriegsministeriums wieder deutschen Boden betrat, hatte mit seinen Möglichkeiten die Vorhaben der Aichers tatkräftig unterstützt.
Als mir Sybille Kuntz beim ersten Treffen ihre Erzeugnisse präsentierte, sah ich zehn Produkte in sieben Flaschenvarianten vor mir. Eines davon hatte einen registriertes Warenzeichen: Gold-Quadrat. Ein dezentes Quadrat in Gold zierte das Etikett. Otl Aicher, der als Hohepriester des Quadrats galt, hätte das mehr als goldig gefunden.
Schnell war klar, dass Frau Kuntz nicht mit neuen Etiketten gedient war. Aufräumen war angesagt. Ich empfahl deshalb eine Neuordnung, zusammengefasst in zehn Empfehlungen.
Erstens: Erzeugermarke statt Produktmarken. Zweitens: Verknüpfung von Anbaugebiet und Rebsorte. Drittens: Konzentration des Angebots auf maximal sechs Produkte in den traditionellen Qualitätskategorien des deutschen Weinbaus. Viertens: Reduktion der Flaschenvielfalt auf eine Flaschenform, eine Flaschenfarbe und höchstens zwei Flaschengrößen. Fünftens: Einführung eines Symbols für Herkunft und Geschichte. Sechstens: Mutation des Gold-Quadrats zum Kuntz-Quadrat. Siebtens: Anpassung des visuellen Erscheinungsbilds des Weinguts an die Optik des Produktangebots. Achtens: Hohe Qualitätsstandards bei der Auswahl von Materialien und Veredelungstechniken bei Produkt- und Geschäftsausstattung. Neuntens: Zielgerichtete Nutzung internetbasierter Kommunikations- und Vertriebsmöglichkeiten. Zehntens: Regelmäßige Kontaktpflege zu Meinungsbildnern in nationalen und internationalen Fachmedien.
Neue Flaschenetiketten gab es schließlich auch. Zwei Jahre nach unserer ersten Begegnung wurden die ersten gedruckt.
Sybille Kuntz hatte ihren Weg zu Kreutz gefunden und zu dem Wegkreuz geführt, an dem sich viele Wege kreuzten und kreuzen.
Nun auch Ihrer.
Als Leser dieser Geschichte gehören Sie zum exklusiven Kreis jener, die sich aus Anlass des dreihundertjährigen Jubiläums des Wegkreuzes am Lieserer Niederberg für eine von dreihundert Flaschen eines besonderen Weines freuen dürfen, den uns Sybille Kuntz aus den Trauben des Jahrgangs 2012 kredenzt. Sie brauchen ihr nur ein Angebot zu machen, welches sie nicht ablehnen kann.
www.sybillekuntz.de
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