Avantgarde der Parteienwerbung? (Foto: Petra Kahlenberg, Bernd Kreutz)
Mein erstes Wahlplakat. Kommunalwahl Sindelfingen 1975.
Der Sindelfinger Architekt, Bauunternehmer und CDU-Stadtrat Karl-Heinz Reinheimer hatte den Parteiauftrag angedient. Für Reinheimer und dessen Firma siwog hatte ich mit meinem Chef Günter Königsdorf, auch er ein Sindelfinger, ein Jahr zuvor mit einer regional vielbeachteten Immobilienwerbung dazu beigetragen, im Handumdrehen 25 Bungalows zu verkaufen.
Nebenbei gesagt: REinheimer und seine Freunde MAnfred Holl und UDO Schlote sind die Gründer der Steakhousekette MAREDO – ein Markename, den sie aus Buchstaben ihren eigenen Namen zusammengesetzt haben.
Herr Königsdorf, ein souveräner, nobler Mann, ließ mir bei dem CDU-Auftrag freie Hand. Konzeption, Text, Gestaltung, llustration, Medienauswahl: alles Kreutz.
Und er hat mir damit, ahnungs- und arglos wie ich war, Lehren fürs Leben beschert. Der Text zu dem abgebildeten Großflächenplakat kam zum Beispiel folgendermaßen zustande:
In einer zum Thema Wahlkampfstrategie anberaumten Fraktionssitzung wurde über zwei Stunden lang heillos durcheinanderdebattiert – über Gott und die Welt, nur nicht über Wahlkampfstrategie.
Ich wurde zunehmend konfuser und entnervter. So hatte ich mir Politik nicht vorgestellt, schon gar nicht Lokalpolitik.
Schließlich traute ich mich, mit Angstschweiß in den Achselhöhlen, eine Frage zu stellen: „Kann mir denn jemand sagen, was genau Sie jetzt wollen?″
Spontane Antwort eines Stadtrats: „Wir wollen die Wahl gewinnen.″
Darauf ich, in meiner ganzen Verzweiflung und froh, dass sich die Anwesenden wenigstens im Ziel einig schienen: „Gut, dann schreiben wir das hin.″
Begeisterung in der Runde, anerkennende Blicke zum Abschied. Ein paar Wochen später hing das Plakat. Und dann glühten die Telefondrähte. Panik in der Partei.
„Welcher Irre ist für diesen Wahnsinn verantwortlich?″
„Was sollen denn die Wähler von uns halten?″
„Wie schnell kann man die Plakate überkleben?″
„Das ist doch gelogen, dass das jemand von uns gesagt haben soll!″
„Man kann doch keinen Wahlkampf ohne Argumente führen!″
Doch, man kann.
Amtliches Endergebnis: CDU (ohne Argumente):plus 8,4 Prozent. SPD (mit Argumenten): minus 9,5 Prozent.
Woraus wir wieder einmal lernen: Argumente waren noch nie eine Garantie für einen erfolgreichen Wahlkampf.
Kommentiert von: Peter Sumerauer | 27. Februar 13 um 15:00 Uhr