
Konspiration in Theorie...

...und Praxis
Stellen Sie sich vor: Sie gönnen sich nach einem stressigen Arbeitsmonat ein paar freie Tage und genießen ein Wochenende in Berlin. Im Hotelzimmer, kurz vor dem Einschlafen, bekommen Sie beim Zappen der TV-Nachrichten gerade noch mit, dass es da wegen einer geplanten Flüchtlingsunterkunft irgendwelche Probleme gäbe. In Osterode im Harz. Osterode, denken Sie sich, liegt das nicht irgendwo auf meinem Heimweg? Den Harz kennen Sie bislang nur als Harzer Käse, warum also nicht spontan über Osterode nach Hause fahren.
Die Flüchtlingsunterkunft entpuppt sich als die ehemalige Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne. Flüchtlinge, häufig aus arabischen Ländern und muslimischen Glaubens, ausgerechnet in einer Kaserne willkommen zu heißen, die nach einem Kriegshelden in Adolf Hitlers Eroberungskampf in Nordafrika benannt ist, halten Sie nicht gerade für einen Ausdruck deutscher Willkommens-Kultur. Eigentlich ist es für Sie eine Schande. Obwohl Sie natürlich von Ihren Nahostreisen wissen, dass man das auch komplett anders sehen kann.
Das Städtchen Osterode, direkt an der früheren Grenze zum Kommunismus gelegen, entpuppt sich auch nicht gerade als ein Ort, in dem man seine eigenen Gäste vorzugsweise beherbergen würde.
Wie gedankenlos muss man sein, fragen Sie sich also, um Flüchtlinge hier kasernieren zu wollen.
Weil das Wetter herrlich und die Landschaft schön ist, zuckeln Sie gemächlich über diverse, gut instand gehaltene Bundesstraßen Richtung Heimat. Gerade mal 80 Kilometer vor Köln trauen Sie plötzlich Ihren Augen nicht, weist ein Straßenschild, mitsamt einem Richtungspfeil nach rechts, doch tatsächlich auf einen Ort mit dem Namen Neger hin. Neger!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Da Sie es nicht glauben können, machen Sie eine Kehrtwende und biegen nach Neger ab – eine deutsche Idylle, wie sie in der tief stehenden, herbstlich milden Spätnachmittags-Sonne schöner kaum sein kann.
Eine Flüchtlingsunterkunft hier, mit günstigem Linienbus-Anschluss in eine nahe Großstadt, wäre allemal humaner als eine Unterbringung im Harzer Rommel-Militär-Gedenklager, sagen Sie sich. Zwar würde möglicherweise eine Facebook-Gruppe von Blockwarten des politisch Korrekten den Ortsnamen beanstanden, aber der könnte ja in einem nordrhein-westfälisch-rot-grünen Verwaltungsakt über die Köpfe der alteingesessenen Bewohner hinweg ersetzt werden. Zum Beispiel durch „Neues Deutschland”, für den Fall, dass diese Facebook-Gruppe das wünscht, selbstverständlich gestützt auf diverse Online-Petitionen.
Zuhause angekommen, recherchieren Sie im Internet die Geschichte der geplanten Flüchtlingsunterkunft und erschrecken fürchterlich. Nicht, weil dieses Projekt offensichtlich von Ihrem Lieblingsschauspieler beherzt gefördert wird. Sondern weil Sie das Ausmaß an Hass-Parolen beängstigt, dem dieser Mann als Folge seines Engagements ausgesetzt ist.
Auf die Idee mit der Rommel-Kaserne und Osterode kann Til Schweiger nicht selbst gekommen sein, beruhigen Sie sich, da ist er vermutlich gutgläubig irgendwem auf den Leim gegangen. Trotzdem sind Sie immer noch so aufgewühlt von Ihren heutigen Reiseeindrücken, dass Sie sich entschließen, umgehend was zu posten. Und zwar etwas, was garantiert den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Social-Media-Anbieters entspricht.
Zur Sicherheit lassen Sie sich das von zwei befreundeten Rechtsanwälten spätnachts noch schnell telefonisch bestätigen – man kann ja nie wissen; vielleicht geht es einem ja selbst auch so wie dem Schweiger – durchgeknallt, wie die Welt teils ist. Vielleicht leitet aber auch jemand Ihren Beitrag an Schweiger persönlich weiter und der kann über den Scherz mit Negertal und seine eigene Arglosigkeit mit der Rommel-Kaserne inzwischen sogar lachen. Zumal das Projekt mittlerweile vom Tisch zu sein scheint und er stattdessen eine Stiftung gegründet hat (tilschweigerfoundation.de).
Text Ihres Beitrags: „Statt Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne in Osterode? Hat Til Schweiger schon wieder eine Idee zur Flüchtlingsunterbringung?” Dazu das Foto des großen Gemarkungssteins mit der gemeißelten und mit weißer Deckfarbe überstrichenen Inschrift „Willkommen im Negertal”.
Bei Ihren Recherchen ist Ihnen natürlich auch aufgefallen, dass die Hass-Tiraden gegen Til Schweiger inzwischen die Bundespolitik und deren Repräsentanten erreicht haben. Allen voran dessen angeblichen Freund, den dauerbesorgten SPD-Vorsitzenden, sowie unseren hyperaktiven Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz.
Verwundert schütteln Sie den Kopf, dass letzterer die von ihm natürlich zu Recht angeprangerten Hass-Parolen speziell auf Facebook offenbar nicht mit den bisherigen Mitteln des Rechtsstaats abzustellen vermag, sondern auf die Mitarbeit des US-Konzerns angewiesen zu sein scheint. Am Ende gar noch auf NSA-Amtshilfe. Das Ganze in Tateinheit mit allen möglichen freiwilligen, typisch deutschen Denunzianten, Sittenwächtern und Hobby-Staatsanwälten der „Zivilgesellschaft”.
Dazu erzeugte er mit Hilfe der regierungsgefälligen Massenmedien so viel öffentlichen Druck auf das Facebook-Management, dass sich ein Firmenvertreter aus der Dubliner Europa-Zentrale tatsächlich dazu herabließ, sich mit ihm und seinem chicen, taillierten Maßanzug zu treffen, fotografieren und filmen zu lassen. Wie der Zufall es wollte, saß Bundeskanzlerin Merkel anlässlich eines Dinners während des UN-Gipfeltreffens in New York neben Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und nahm ihm angeblich das Versprechen ab, „sich um Hassparolen im Netz zu kümmern.” Dem Mann haben schließlich die Chinesen gezeigt, wie so etwas geht.
Was allerdings ausgerechnet deutsche Politiker glauben macht, dass Meinungen verschwinden, sobald man sie nirgendwo mehr äußern darf, wird trotzdem eines der ewigen Rätsel der Menschheit bleiben.
Kurz darauf geschieht freilich Folgendes: Sie müssen sich zu Ihrem Facebook-Account neu anmelden. Daraufhin lesen Sie die Mitteilung, dass Ihr Beitrag bezüglich Til Schweiger gegen die Community-Regeln verstoße und deshalb gelöscht wurde. Nur wenn Sie das akzeptieren, können Sie wieder Teil der künftig heilen Facebook-Welt sein. Eine Begründung und Auskunft darüber, wer diese Behauptung aufgestellt hat, bekommen Sie nicht.
Normalerweise würden Sie jetzt den Vorgang Ihren Firmenanwälten übergeben und wahrscheinlich im Eilverfahren per Gerichtsurteil bestätigt bekommen, dass Ihr Facebook-Beitrag durch Artikel 5 des Grundgesetzes gedeckt sei und dieser umgehend wieder freigeschaltet werden müsse.
Schließlich heißt es im Grundgesetz:
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
Nach dem Willen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland wird aber genau dies nicht geschehen. Denn Ihr Recht nach Grundgesetz Artikel 5 – das wissen Sie, seit Sie die Facebook-Geschäftsbedingungen gelesen und mangels Alternativen notgedrungen akzeptiert haben – sieht jetzt so aus:
1. Du wirst jedweden Anspruch, Klagegegenstand oder Streitfall (Anspruch), den du uns gegenüber hast und der sich aus dieser Erklärung oder in Verbindung mit dieser bzw. mit Facebook ergibt, ausschließlich vor dem für den nördlichen Bezirk von Kalifornien zuständigen US-Bezirksgericht oder vor einem Staatsgericht in San Mateo County klären bzw. klären lassen, und du stimmst zu, dass du dich bei einem Prozess hinsichtlich aller derartigen Ansprüche der personenbezogenen Gerichtsbarkeit dieser Gerichte unterwirfst. Diese Erklärung sowie alle Ansprüche, die möglicherweise zwischen dir und uns entstehen, unterliegen den Gesetzen des Bundesstaates Kalifornien, und zwar unter Ausschluss der Bestimmungen des internationalen Privatrechts.
2. Wenn jemand einen Anspruch bezüglich deiner Handlungen, deiner Inhalte oder deiner Informationen auf Facebook gegen uns erhebt, wirst du uns von sämtlichen Schäden, Verlusten und Ausgaben (einschließlich angemessener Anwaltshonorare und Rechtskosten) im Zusammenhang mit einem derartigen Anspruch schadlos halten. Auch wenn wir Regeln für das Nutzerverhalten zur Verfügung stellen, kontrollieren bzw. lenken wir die Handlungen der Nutzer auf Facebook nicht und sind auch nicht für die Inhalte oder Informationen, die Nutzer auf Facebook übermitteln oder teilen, verantwortlich. Wir sind nicht verantwortlich für beleidigende, unangemessene, obszöne, unrechtmäßige oder auf sonstige Art anstößige Inhalte oder Informationen, denen du eventuell auf Facebook begegnest. Wir sind nicht für das Verhalten von Facebook-Nutzern verantwortlich, weder online noch außerhalb des Internets.
Und, nicht zu vergessen:
Diese Vereinbarung wurde auf Englisch (USA) verfasst. Falls zwischen irgendeiner Übersetzung dieser Vereinbarung und der englischen Version ein Widerspruch besteht, ist die englische Version ausschlaggebend.
Sie ahnen, dass es mehrere Millionen Dollar kosten kann, vor US-Gerichten dem Grundgesetz der BRD Geltung zu verschaffen. Bei ungewissem Ausgang.
Jetzt beginnen Sie, zum ersten Mal in Ihrem Leben, am Rechtsstaat und an unserer Demokratie zu zweifeln. Sogar an der Bundeskanzlerin.
Aber machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind nicht alleine.
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